Sektorkopplung
Power-to-Gas wird an der Nordsee wirtschaftlich
Mit einem neunjährigen Verbundprojekt will der schleswig-holsteinische Energiesystem-Entwickler und Projektierer GP Joule die Sektorenkopplung zwischen Grünstrom-Erzeugung und Kraftstoffversorgung des Verkehrs wirtschaftlich werden lassen. Für das am Freitag vorgestellte Konzept hat das Unternehmen bereits Partner wie etwa zwei Fraunhofer-Instituten gewonnen – und den an den abgelegenen Firmensitz am Deich angereisten Ministerpräsidenten zu einer ungewöhnlich starken Sympathieäußerung gebracht.
Tilman Weber
Gut 200.000 Euro wollen die Gesellschafter der noch zu gründenden Investorengruppe um GP Joule alleine für die entsprechend aufwändige Projektvorentwicklung aufbringen. Mit dem Projektstart Mitte 2018 sollen dann in einem langgezogenen Verbundgebiet, knapp 60 Kilometer lang und gut 10 Kilometer breit, von Husum im Süden bis zur dänischen Grenze im Norden zwei Brennstoffzellenbusse im Schnitt pro Tag 308 Kilometer fahren – gespeist durch Energie aus Windparks. Fünf 200-Kilowatt-Elektrolyseure sollen den Wasserstoff mit einer hocheffizienten neuartigen PEM-Technologie erzeugen. Diese wollen die Partner an jeweils existierenden Windparks in der Region installieren. Deren Turbinen liefern den Strom für die Elektrolyse. 75 Prozent wandelt die Anlage in Wasserstoff als Treibmittel für die Brennstoffzellen der beiden Linien-Fahrzeugen um. Die restlichen 25 Prozent des eingesetzten Windstroms gehen zunächst als Prozesswärme verloren. Doch auch die Wärme will GP Joule als Energie verkaufen und jeweils in Nahwärmenetze rings um die Elektrolyseure einspeisen.
Damit das System gleich am Anfang ohne Versorgungslücken funktioniert, sehen die Pläne zwei Wasserstofftankstellen vor. Gemäß dem Konzept versorgen je eine Tankstelle am Südende der Linienbus-Tour in Husum und eine in Niebüll fast am Nordende die Autos mit der nicht ins Netz eingespeisten Windenergie. Und zwei Wasserstofftankwagen liefern beständig den Treibstoff von den Elektrolyseuren zu den Zapfsäulen.
Dass das schon ab Mitte der Projektlaufzeit schwarze Zahlen verspricht, hat sich GP Joule von der Berliner Agentur Johanssen + Kretschmer berechnen lassen. Voraussetzung für eine so schnell eintretende Rendite ist allerdings, dass Bund und Land Schleswig-Holstein den Investoren mit Subventionen in Höhe von 50 bis sogar 75 Prozent unter die Arme greifen.
„Die Ergebnisse der Studie können sich sehen lassen“, sagte GP-Joule-Geschäftsführer Ove Petersen am Freitag im Beisein von Journalisten bei einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten und Vertretern möglicher Wirtschaftspartner am Firmensitz an der Nordseeküste in Reußenköge. „Weder aus technischer noch aus genehmigungsrechtlicher oder wirtschaftlicher Perspektive gibt es für das Verbundprojekt signifikante Hürden“
Dabei nutzt das Konzept geschickt die Türen, die von den Energiemarktgesetzen offen gelassen werden. Zwar leiden Sektorkopplungsprojekte generell unter schlechten steuerlichen Rahmenbedingungen. Auch das Konzept von GP Joule wäre EEG-Umlage-pflichtig: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stuft Elektrolyseure als Stromverbraucher und nicht als Systemdienstleistungs-Anlagen für das Stromnetz ein. Daher müssen die Betreiber solcher Power-to-Gas-Anlagen wie die meisten Stromkunden auch die EEG-Umlage bezahlen, mit denen sich die Netzbetreiber ihre Kosten durch die Vergütung der Erneuerbare-Energien-Anlagen zurückerstatten lassen. Die Anlagen des Verbundprojektes wären zwar als neu errichtete Energiespeicher von den Netzentgelten befreit, allerdings nur befristet. Von der Stromsteuer wären die Elektrolyseure befreit. Auch die Energiesteuer viele weg, da das Energiesteuergesetz eine Befreiung für die Nutzung von Wasserstoff für Mobilitätszwecke vorsieht. Auch die Abwärmenutzung befreit das Projekt von der Energiesteuer. Zudem winken zusätzliche Verdienstmöglichkeiten durch die Bereitstellung der sogenannten Systemdienstleistungen zur flexiblen Unterstützung der Stabilität von Frequenz und Spannung auf den Strommärkten.
Rund 11,5 Millionen Euro betragen die errechneten Kosten für Investitionen, Personal, Materialien, eingesetzte Energie und die sonstige Infrastruktur bis 2026. Wenn wie geplant im Durchschnitt pro Jahr ein weiterer Linienbus in den Wasserstoffbetrieb hinzukäme, würde der Betrieb bei einer 75-prozentigen Förderung schon ab 2020 mehr einbringen als die Ausgaben einschließlich der Abschreibungen. 2025 wäre dann der Verlustvortrag aus den Vorjahren in sein Gegenteil verkehrt Und ein Jahr wäre der Gewinnübertrag in das nächste Jahr schon bei einer Rendite von 665.000 Euro auf das eingesetzte Kapital angelangt. Bei einer 50-prozentigen Förderung würde sich der Verlustvortrag hingegen ab 2022 vermindern. Dass das System womöglich weit schneller zur Rendite führt, dafür könnten von den Beteiligten ausgeguckte weitere Kunden sorgen: Die Inselbahn vom Festland nach Sylt etwa oder Schiffe könnten auf Wasserstoff umstellen.
Mit dem Projekt wollen die Beteiligten demonstrieren, dass Power to Gas wirtschaftlich betrieben werden kann – zum Nutzen einer breiten Wertschöpfung in einer Region. Vor allem die immer größeren Mengen in der Wasserstoffproduktion machten den Rohstoff immer billiger und konkurrenzfähiger: So betrüge ein wirtschaftlicher Preis für den teuren Wasserstoff 2018 noch 82 Cent pro Kilowattstunde (kWh) genutzter Energie. 2026 wären es nur noch 16 Cent.
Von einem „gemeinsamen Ziel“ sprach danach Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. Power to Gas dürfe nicht als Übergangstechnologie betrachtet werden, „bis die heute noch fehlenden Stromleitungen da sind“. Im Gegenteil sei die Energiewende ohne den Einsatz des flexiblen Energierohstoffs Gas zum Ausgleich der wetterabhängigen Erzeugung von Wind- und Solarstrom nicht möglich.
„Wir haben gar kein Interesse daran, unseren Strom nach Bayern zu liefern“, sagte Albig in Anspielung auf den Streit mit dem südostdeutschen Bundesland um den Bau von großen Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland. Diese sollen ab Mitte des nächsten Jahrzehnts den Strom aus Norddeutschland zu den großen Verbrauchszentren in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen abtransportieren. Derzeit regeln die Stromnetzbetreiber hingegen zunehmend öfter die Windparks ab, die bei starkem Wind, hoher Produktionsleistung der Kohlekraft- und Atomkraftwerke in und um Hamburg sowie geringem Verbrauch deshalb abschalten müssen. Doch Bayern stemmt sich dagegen, den Bau von Stromleitungen zuzulassen.
Es solle nicht mehr von überschüssigem Strom geredet werden“, empfahl Albig. Die Wasserstoffproduktion könne für die Ansiedlung weiterer innovativer Unternehmen in der Region sorgen und die Nordseeküste zur Innovationsschmiede für moderne Energiekonzepte. „Wir haben gar kein Interesse daran, den Strom nach Bayern zu liefern. Die sollen darum bitten, dass sie was abkriegen“, sagte der Ministerpräsident.